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01.12.2017

Mit Versorgungsregionen gegen den «Kantönligeist»

Drohendes ambulantes Überangebot statt Ärztemangel

Links Gynäkologie und Geburtshilfe 2015, Grafik rechts: Gynäkologie und Geburtshilfe 2030

Der öffentlichen Angstmacherei zum Trotz: Eine datenbasierte Projektion von santésuisse der ambulanten Versorgungssituation bis ins Jahr 2030 sagt für die meisten Bereiche eine schweizweite Überversorgung statt einen Ärztemangel voraus. Die Lockerung des Vertragszwangs und eine über die Kantonsgrenzen hinausgehende Versorgungsplanung sind griffige Rezepte um den Kostenanstieg zu bremsen.

Versorgungsregionen statt Kantonsgrenzen sollen zu einem besser auf den Bedarf abgestimmten medizinischen Angebot führen. Eine von santésuisse durchgeführte Analyse der ambulanten Versorgung und der Patientenströme stützt diese Forderung, die letzthin bereits die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) erhoben hat. Die spezialärztliche ambulante Versorgung verschiebt sich in den meisten Facharztdisziplinen stark in die Zentren. Eine überkantonale oder sogar zentrale Versorgungsstruktur drängt sich auf. Ähnliches ist im stationären Bereich zu beobachten. Je nach Leistungsbereich sind in der Akutsomatik zwischen neun und zwölf und keineswegs 26 Versorgungsregionen sinnvoll. Am Wohn- oder Arbeitsort wird insbesondere die medizinische Grundversorgung in Anspruch genommen.

2030: ambulante Überversorgung droht

Wohin geht die Entwicklung in den nächsten Jahren? Als schweizerischen Benchmark hat die santésuisse-Analyse die Ärztedichte 2015 herangezogen. Im Vergleich zur OECD war die Schweiz bereits damals mehr über- als unterversorgt, allerdings mit deutlichen regionalen Unterschieden im Versorgungsgrad. Eine Projektion ins Jahr 2030 zeigt, dass mit Ausnahme weniger Facharztgruppen eine Überversorgung zu erwarten ist, und zwar auch dann, wenn die Nachfrage nach medizinischen Leistungen aus soziodemographischen sowie medizinisch-technischen Gründen weiterhin zunimmt.

Bilden von Versorgungsregionen

Die heutige Versorgungsplanung und -steuerung fördert mit ihrem Fokus auf die Kantone die Über- und Fehlversorgung. Die Mehrheit der Kantone investiert ohne angemessene Koordination mit den Nachbarkantonen Steuergelder in ihre Gesundheitsinfrastrukturen. Sie schaffen neue Ambulatorien und planen teure Spitalerweiterungen, immer mit dem Hinweis auf den verfassungsrechtlichen Versorgungsauftrag. Strukturerhaltung und gezieltes Standortmarketing stehen somit vielfach vor Effizienz und Qualität. Um eine Überversorgung zu verhindern, müssen der Planungshorizont über die Kantonsgrenzen hinausgehen und überkantonale Versorgungsregionen geschaffen werden. Das spitalambulante Angebot ist zwingend in die Versorgungsplanung und -steuerung einzubeziehen. Der Bund soll eine Definition der Ärztedichte gemäss Bedarf verlangen, mit Richtwerten oder Bandbreiten pro Versorgungsregion und Facharztgruppe.

Lockerung Vertragszwang

Als weitere wirksame Massnahme soll bei Überversorgung der Vertragszwang gelockert werden. Eine Massnahme, die notabene auch von der vom Bundesrat eingesetzten Expertengruppe und vom Parlament geprüft werden will. Sie erkennen darin eine kostendämpfende Wirkung und einen positiven Einfluss auf die Qualität der Leistungen.

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