10.431 Parlamentarische Initiative: Komatrinker sollen Aufenthalte im Spital und in Ausnüchterungszellen selber bezahlen
Grundsätzlich unterstützt santésuisse die Forderung, wonach medizinische Leistungen, die aufgrund von übermässigem Alkoholkonsum, Rauchen, Übergewicht oder Schönheitsoperationen anfallen, durch die Verursacher in vollem Umfang bezahlt werden sollten. Soweit nicht krankheitsbedingt, ist es stossend, wenn solche Kosten zulasten der Allgemeinheit grobfahrlässig generiert und von der Grundversicherung (OKP) übernommen werden müssen. So sieht auch Art. 21 ATSG vor, dass der versicherten Person die Geldleistungen gekürzt oder verweigert werden können, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt hat. Insofern wird eine Stärkung der Eigenverantwortung begrüsst.
Die mit der Initiative geforderte Umsetzung im KVG bedingt jedoch eine Neuorientierung am Kausalitätsprinzip in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung. Ein solcher Systemwechsel ist gut zu überlegen und zu überdenken. Aktuell sieht das KVG keine Reduktion der Leistungen bei schwerem Verschulden oder Wagnissen vor, sondern garantiert eine umfassende Solidarität auch gegenüber Alkoholikern, Rauchern, Drogenabhängigen, Übergewichtigen, etc. Trotz an sich positiver Stossrichtung der Initiative ist es zudem möglich, dass diese „unter dem Strich“ gar keine Einsparungen erzielt. Im schlimmsten Falle könnten gar Mehrkosten resultieren infolge zusätzlicher bürokratischer Aufwände, zusätzlicher Rechtsgutachten und teurer Gerichtsfälle. Weiter ist nicht sicher, ob dadurch tatsächlich auch eine Verhaltensänderung bei den Verursachern bewirkt wird. Eine Evaluation sowie zeitliche Befristung dieser neuen Kostenbeteiligung erachten wir deshalb als unabdingbar. Ergänzend dazu regen wir an, parallel mit der Umsetzung gezielte Aufklärungs- und Präventionsarbeit zu betreiben (vgl. Art. 20 Abs. 1 KVG, wonach von jeder versicherten Person jährlich ein Beitrag für die allgemeine Krankheitsverhütung zu erheben ist).
Es ist grundsätzlich sinnvoll, solche Fragen in der Politik zu diskutieren. Die grosse Schwierigkeit besteht jedoch darin, dass solche Fragen meist isoliert betrachtet werden, wie auch die vorliegende. Neben übermässigem Alkoholkonsum gibt es weitere „Lifestyle“-Dienstleistungen bzw. Produkte, deren Konsum bzw. Inanspruchnahme nicht strafbar ist jedoch bei übermässigen Konsum oder unsachgerechter Handhabung (grobfahrlässiges Verhalten) bzw. Inanspruchnahme „unsolidarische“ Folgekosten auftreten, bei denen man sich berechtigterweise fragen darf, ob diese nicht dem Verursacher in Rechnung zu stellen sind. Beispiele dafür sind Schönheitsoperationen, Rauchen, Übergewicht, etc.
Die Höhe der Krankenkassenprämien ist eine der grössten Sorge der Schweizer Bevölkerung. Eine soziale Krankenversicherung, die sich die Bevölkerung nicht mehr leisten kann oder will, könnte ihre ausserordentlich wichtige Funktion nicht mehr erfüllen. Wegen der rasante Zunahme
der medizinischen Möglichkeiten (technischer Fortschritt, individualisierte Medizin etc.) und infolge der Alterung der Gesellschaft rücken die Finanzierungsfragen der sozialen Krankenversicherung heute und in naher Zukunft noch stärker in den Blickpunkt von Politik und Bevölkerung. Nichtsdestotrotz bleibt es die Aufgabe der Politik und der Behörden, der Bevölkerung konkrete Lösungen in diesem Problemfeld vorzuschlagen. Sie sind angehalten immer wieder zu überprüfen, welcher Leistungsumfang zur OKP gehören soll und wie dieser finanziert werden kann. Dazu gehört auch die Frage, ob die zunehmenden medizinischen Massnahmen z.B. nach Lifestyle-Eingriffen (z.B. Schönheitsoperationen) oder infolge grobfahrlässigem Verhalten (z.B. Komatrinker) weiterhin durch die OKP getragen werden sollen.
Fazit
Für santésuisse ist es wichtig, dass die vorgeschlagene Änderung des KVG zeitlich begrenzt ist und dass die Umsetzung evaluiert wird. Des weiteren sollte parallel dazu gezielte Aufklärungssowie Präventionsarbeit betrieben werden. Unter diesen Voraussetzungen kann santésuisse mit einer Mehrheit seiner Mitglieder dem Vorschlag der Kommissionsmehrheit zur Einführung einer neuen Kostenbeteiligung (neu Art. 64a KVG) trotz Überwiegen von Bedenken bei einer grösseren Minderheit unserer Mitglieder zustimmen.