Komplexe Dossiers und ein weiterhin hohes Kostenwachstum warten auf die neue EDI-Vorsteherin Elisabeth Baume-Schneider. Doch ihr Departementswechsel ist vor allem eine Chance: Konkrete Sparmassnahmen liegen längst auf dem Tisch, ebenso ein fertiger Arzttarif auf der Basis von ambulanten Pauschalen. Er würde die Effizienz steigern, die Kostenentwicklung dämpfen und ambulante Behandlungen insgesamt fördern.
Zurückhaltend waren die Medien keineswegs. Als bekannt wurde, dass SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider ins Eidgenössische Departement des Innern (EDI) wechselt und dort ihren Parteikollegen, alt Bundesrat Alain Berset, ersetzt, titelte die «NZZ am Sonntag» umgehend: «Viel Glück beim Scheitern». Mit dem EDI habe sich die Jurassierin nicht weniger als den härtesten Job im Bundeshaus ausgesucht. Wenige Tage später doppelte der «Blick» nach: In ihrem neuen Amt müsse die EDI-Vorsteherin «einen beständigen Sturm der Kritik aushalten» und bekomme es mit «zwei fürchterlich komplexen Themen» zu tun. Gemeint ist einerseits die Sanierung der Altersvorsorge, andererseits stehen dringende Reformen im Gesundheitswesen hoch oben auf der Traktandenliste. Am 9. Juni stimmt die Schweiz über die Kostendämpfungs-Initiative der Mitte-Partei und die Prämien-Entlastungs-Initiative der SP ab. Hier muss sich die Bundesrätin gegen ihre eigene Partei zur Wehr setzen. Ein erster Prüfstein steht bereits im März an: Dann bestreitet die neue EDI-Vorsteherin die Volksabstimmung über eine 13. AHV-Rente, bei der sie – ebenfalls entgegen ihrer Partei – die Position des Bundesrates vertreten muss.
Massnahmen rasch umsetzen
So herausfordernd die Ausgangslage auch sein mag, sie ist auch eine grosse Chance für Elisabeth Baume-Schneider, um die Weichen für das Gesundheitswesen richtig zu stellen. Denn: Echte Reformen sind längst überfällig. Es geht um nichts weniger als die Finanzierung der Krankenpflegeversicherung für kommende Generationen. Dabei liegen wichtige Lösungsvorschläge längst auf dem Tisch: Mit einer Senkung der Labortarife, mit Einsparungen bei Medikamenten und klaren Effizienzkriterien für Spitaltarife könnte sehr viel Geld gespart werden – «ohne dass die Prämienzahlerinnen und Prämienzahler auf etwas verzichten müssten», betont santésuisse-Direktorin Verena Nold.
Mehr Transparenz: Der Arzttarif ist bereit
Auf dem Tisch von Elisabeth Baume-Schneider liegt ein weiteres Thema, mit dem sie sich rasch profilieren könnte. In den letzten Jahren haben die Verbände H+ Die Spitäler der Schweiz und santésuisse einen neuen Arzttarif auf der Basis von ambulanten Pauschalen entwickelt, der rasch eingeführt werden kann. Dieser Tarif schafft Transparenz im Gesundheitswesen, weil gleiche Leistungen immer gleich und damit fair vergütet werden. Er hilft, die Kostenentwicklung zu stabilisieren und belohnt effiziente Leistungen. Denn wer günstiger arbeitet, wird belohnt. Heute profitiert, wer möglichst viel behandelt. Im Dezember 2023 hat die nationale Tariforganisation OAAT AG das neue Tarifsystem beim Bundesrat zur Genehmigung eingereicht, gemeinsam mit dem Einzelleistungstarif TARDOC. Dabei liegen die Vorteile von Pauschalen klar auf der Hand: «Sie führen zu einem einheitlichen Tarifsystem für die Abgeltung von ambulanten und stationären Leistungen, womit ambulante Behandlungen gefördert werden», sagt Verena Nold. Der neue Tarif würde eine Zeitwende einläuten, die wegweisend wäre für die Finanzierbarkeit und die Qualität im Schweizerischen Gesundheitswesen. Endlich liegt auch im ambulanten Bereich ein Tarif bereit, der datengestützt ist, der laufend aktualisiert werden kann – und der erst noch die Ambulantisierung fördert.
Neue Leistungen, höhere Tarife
Neben grossen Chancen warten auf die EDI-Vorsteherin auch schwierige Entscheide. Obwohl die Kosten zulasten der Grundversicherung ständig steigen, fordern verschiedene Interessengruppen höhere Tarife und den weiteren Ausbau der Grundversicherung. Damit würden die Prämien noch stärker steigen. Denselben Effekt haben auch die Vergütung von immer neuen und teuren Medikamenten oder die Leistungsentwicklung in der Angehörigenpflege. Weitere Mehrausgaben drohen mit der Umsetzung der Pflegeinitiative und der Einführung der Einheitlichen Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen (EFAS). Nach einer 14 Jahre dauernden Beratung hat das Parlament die Vorlage im Dezember 2023 angenommen und unter dem Druck der Kantone teure Entscheide gefällt, so etwa den Einbezug der Pflege. Nun gilt es für die neue Bundesrätin, alles dafür zu tun, dass die möglichen Effizienzgewinne durch EFAS nicht durch einen ungeordneten Einbezug der Pflege komplett aufgefressen werden.
Um all die Begehrlichkeiten abwehren zu können, muss Elisabeth Baume-Schneider mutig und widerstandsfähig sein, ist santésuisse-Direktorin Verena Nold überzeugt. Sonst drohen bald weitere Prämienschübe. «Alle Entscheide müssen im Sinne der Prämienzahlerinnen und Patienten gefällt werden - und nicht zugunsten jener, die die Kosten in die Höhe treiben.»
