Standpunkt von Heinz Brand in der neuen Zürcher Zeitung vom 10. Oktober 2018
Gemäss Gesundheitsobservatorium könnten sich die Pflegeausgaben bis 2030 annähernd verdoppeln, von heute insgesamt rund 12 Milliarden auf rund 20 Milliarden Franken. Dass regelmässig über die künftige Pflegefinanzierung debattiert wird, ist deshalb verständlich. Ein Blick zurück lohnt sich aber trotzdem.
Mit der Einführung des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) 1996 wurde die Kostenübernahme im Pflegebereich grosszügig ausgeweitet. Betraf sie vorher auf eigene Rechnung tätige Pflegepersonen, wurden neu auch Pflegeheime, Organisationen der Krankenpflege und Hilfen zu Hause als Leistungserbringer anerkannt. Das KVG vergütete in der Folge Pflegemassnahmen, die ambulant, bei Hausbesuchen, stationär, teilstationär oder in einem Pflegeheim erbracht wurden. Das konnte nicht gutgehen: Die Pflegekosten nahmen rasant zu. Zur Stabilisierung führte der Bundesrat deshalb per 1998 auf dem Verordnungsweg Rahmentarife ein. Diese wurden per Dringlichkeitsrecht eingefroren, und gleichzeitig wurde die neue Pflegefinanzierung an die Hand genommen.
In der Botschaft zur neuen Pflegefinanzierung hat der Bundesrat zwei Reformziele formuliert. Erstens sollte die sozialpolitisch schwierige Situation pflegebedürftiger Personen entschärft werden. Zweitens sollten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) die altersbedingten Mehrkosten nicht unbegrenzt überbürdet werden. Diese Reformziele wurden auch vom Parlament mitgetragen. Um die Pflegebedürftigen vor Vermögensverzehr und vor dem Gang zur Sozialhilfe zu schützen, wurden ihre Beiträge gedeckelt und zusätzliche Erleichterungen eingeführt. Vor allem aber bestand Konsens darüber, die Beiträge der OKP in Frankenbeträgen pro Kopf zu begrenzen. Von den Rahmentarifen wurde zu einem fixen, nach Pflegebedarf differenzierten Beitrag gewechselt. Weiter wurde festgehalten, dass die ungedeckten Restkosten künftig von den Kantonen zu tragen sind.
Der neuerliche Ruf einiger Kantone nach Anpassungen der erst 2011 in Kraft getretenen Pflegefinanzierung zulasten der OPK ist aber auch aus folgenden Gründen nicht sachgerecht: Es sind die Kantone, welche den Pflegeheimen Vorgaben machen können, damit sie kostenbewusst und effizient arbeiten. Es sind die Kantone, welche via die Pflegeheimliste festlegen, welche Pflegeheime zulasten der OKP abrechnen dürfen. Teilweise sind die Kantone auch Träger von Langzeitpflege-Institutionen. Ausserdem können die Kantone die Kostenbeteiligung der Pflegebedürftigen so subventionieren, dass Anreize für die kostengünstige Pflege zu Hause resultieren.
Die Kantone haben es seit Jahren in der Hand, eine effiziente Pflege durchzusetzen und vermehrt Anreize für die kostengünstigeren ambulanten Lösungen zu schaffen. Realität ist jedoch, dass sie mehr als zwanzig Jahre nach der Einführung des KVG es nicht geschafft haben, sich auf einheitliche und klare Definitionen für die Langzeitpflege zu einigen. Es herrschen ganz unterschiedliche Interpretationen zu Langzeitpflege, Akut- und Übergangspflege sowie geriatrischer Rehabilitation vor.
Weiter zeigte sich schnell einmal, dass die Kantone es mit der Restfinanzierung nicht so ernst nahmen. Die IG Pflegefinanzierung nennt in ihrem Argumentarium von April 2018 dazu die Kantone Aargau, Baselland und Solothurn als Beispiele mit eindeutig zu tief festgelegten Restfinanzierungen. Inakzeptable Unterschiede herrschen von Kanton zu Kanton auch bei den Pflegekosten pro Person und Tag vor. In Kantonen wie Genf und Freiburg sind die Kosten doppelt so hoch wie im Kanton Glarus.
Es stellt sich deshalb die Frage, ob dieses gesamte Durcheinander von der OKP mitfinanziert werden soll. Aber statt ihre Hausaufgaben zu machen, stellen die Kantone neue finanzielle Forderungen an die Krankenversicherungen. Insbesondere für die jüngeren Prämienzahler wäre dies ein bedenklicher Rückschritt: Bereits heute wird nämlich der Generationenvertrag schon überstrapaziert.